Der Weg zu meinem ersten Auftritt.

Meistens liegt der Lebensweg verschwommen und nebulös vor einem. Klar, es gibt eine ungefähre Richtung, in die man gehen möchte, aber häufig blickt man nach vorne und nur vage sind mögliche Wege zu erkennen. Es ist wie eine Landkarte, die zum ersten Mal aufgeschlagen wird. Hunderte Routen liegen vor einem, etliche Abzweigungen können genommen werden, es gibt große Umwege und kleine Trampelpfade. Erst wenn man am Ziel angekommen ist, werden Weggabelungen deutlich und erkennbare Wegweiser, die in die richtige Richtung zeigen. Rückblickend ist der genommene Weg selbstverständlich, logisch der nächste Schritt in die Zukunft.

An einem Mittwochnachmittag im August 2022 kam ich an so einen Scheideweg. Ich lag hustend und keuchend bei meinen Eltern auf der Couch, seit drei Tagen ging es mir hundeelend und mein Kopf fühlte sich an wie mit Watte gefüllt. Sich hin- und her wälzend, suchte ich gelangweilt auf meinem Handy Ablenkung. Glücklicherweise gab es viele News, Neuigkeiten und Nachrichten, denn seit dem vergangenen Wochenende war ich Mitglied in mehreren neuen WhatsApp-Gruppen. Durch meine Arbeit auf dem Greator Festival 2022 als Volunteer war ich auf eine regelrechte Menschenmasse von Gleichgesinnten getroffen, die, genau wie ich, das große Ziel verfolgten, erfolgreich auf der Bühne ihre Geschichte zu erzählen und Menschen zu inspirieren. Durch zufällige Begegnungen, die zu tiefgründigen Gesprächen führten und in herzlichen Umarmungen mündeten, wurde ich unter anderem in die Gruppe »Speaker-Events« aufgenommen. Das war für mich ein wahr gewordener Traum, denn ich hatte keine Ahnung vom Speaker-Business und diese Gruppe war für mich der erste Schritt auf die Bühne. Wieso? Sie suchte kein Publikum, sondern die Leute auf der anderen Seite des Vorhangs – die Speaker.

Sie suchte kein Publikum, sondern die Leute auf der anderen Seite des Vorhangs.

Und in ebendieser Gruppe las ich an diesem Nachmittag von einer Auftrittsmöglichkeit, bei der auch Leute willkommen waren, die gar keine Erfahrung auf der Bühne hatten. Es wurde sogar explizit geschrieben. Ich konnte mein Glück kaum fassen, schließlich bin ich bis dahin überzeugt gewesen, dass man erst eine monatelange Ausbildung, Coachings absolviert und einen Haufen Geld ausgegeben haben musste, um überhaupt an eine Möglichkeit für einen Auftritt zu kommen. Aber mit dieser Nachricht, gabelte sich auf einmal mein vorhersehbarer Universitätsweg und ich stand vor einer alternativen Richtung.

Alles beginnt mit einer Entscheidung

Meistens liegt der Lebensweg verschwommen und nebulös vor einem, aber diesmal sah ich beide Endergebnisse meiner möglichen Entscheidung deutlich vor meinen Augen. Der Auftritt würde genau einen Tag nach meinem 21. Geburtstag stattfinden. Entschied ich mich dagegen, würde ich bis zum Auftritt eine entspannte, stresslose und vorlesungsfreie Zeit verbringen. Ich könnte an meinem Geburtstag ordentlich feiern und abends eine große Party veranstalten, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Kater führen würde. Entschied ich mich für den Auftritt würde ich mir ein Thema überlegen müssen, eine Rede schreiben, üben und vermutlich würden mir noch andere Aufgaben zufallen, die ich mir jetzt noch gar nicht vorstellen konnte. Ganz zu Schweigen davon, dass ich an meinem Geburtstag früh ins Bett gehen würde, um am nächsten Morgen zeitig den Zug nach Zwickau zu nehmen und vor Aufregung vermutlich kein Auge zubekommen würde.

Gleichzeitig sah ich eine Möglichkeit, eine Version von mir wahr werden zu lassen, die ich bisher nur weit in der Zukunft gesehen hatte. Eine Version, die zum Greifen nahe ist. In 20 Jahren würde mich nicht die Party an meinem Geburtstag meiner Traumzukunft am nächsten bringen, sondern der Auftritt, der zum jetzigen Zeitpunkt verfügbar war. Er würde zu Kontakten, Erfahrungen und wünschenswerter Weise zu noch mehr Chancen auf der Bühne führen. Mir wurde bewusst, dass ich nicht darauf warten muss, irgendwann einmal, zufälligerweise und mit ganz viel Glück auf der Bühne zu stehen. Nein, das, was ich mir für meine Zukunft wünschte, konnte ich mit diesem Auftritt schon jetzt in mein Leben holen.

Also bog ich ab und schlug den mir unbekannten Weg des Speakings ein.